Vom Gehirn das Energiesparen lernen

AMO GmbH kooperiert mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich und der RWTH Aachen sowie mit mehreren Unternehmen aus der Region in zwei vom BMBF geförderten Großprojekten, NEUROTEC und NeuroSys, die das Ziel haben, eine technologische Basis für neuroinspirierte KI-Hardware made in Europe zu schaffen. Auf dem Jülich-Aachen Neuromorphic Computing Day, der am 24. Mai 2022 im Forschungszentrum Jülich stattfand, geben Prof. Reiner Waser und Prof. Max Lemme einen Einblick in den Fortschritt der Projekte.

NEUROTEC (Neuro-inspired Technology of Artificial Intelligence for Future Electronics) ging Ende 2021 in die zweite Phase und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über einen Zeitraum von fünf Jahren mit insgesamt rund 36 Millionen Euro gefördert. Der Zukunftcluster NeuroSys (Neuromorphe Hardware für autonome Systeme der Künstlichen Intelligenz) hat im vergangenen Jahr den Ideenwettbewerb Clusters4Future gewonnen und wird vom BMBF mit bis zu 45 Millionen Euro gefördert. Beide Projekte haben die Vision, die Technologie für den Bau energieeffizienter Hardware nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns zu entwickeln und die Region Aachen-Jülich zu einem international führenden Standort für neuromorphe KI-Hardware zu machen.

Prof. Rainer Waser, wofür genau brauchen wir solche neuromorphen Computerchips nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns?

Prof. Rainer Waser: In NEUROTEC haben wir ein zukunftsträchtiges Gebiet im Blick, nämlich Hardware für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz. Mit unserem Ansatz adressieren wir dabei ein ganz grundlegendes Problem, das Energieproblem: Denn der Einsatz von KI ist momentan noch sehr energieintensiv. Das Training der Modelle erfolgt in der Regel auf Superrechnern und benötigt immer mehr Rechenzeit. Alle 3 bis 4 Monate verdoppelt sich der Rechenaufwand, dies ist zumindest der Trend der letzten Jahre.

Neuromorphe Systeme mit künstlichen Synapsen versprechen, diese Aufgaben deutlich – um mehrere Größenordnungen – effizienter zu lösen, als es mit herkömmlichen Digitalrechnern möglich ist. Langfristig denkbar ist eine Vielzahl von Anwendungen: von kleinsten Nanosensoren, dem „Smart dust“, über intelligente Implantate mit energieautarker KI-Regelung, Mustererkennungschips in mobilen Endgeräten, online-trainierbare Steuerungen in der Industrie 4.0, fahrzeugbasierte KI-Elektronik für autonomes Fahren bis hin zu den Großrechneranlagen, die ihrerseits das Gehirn emulieren oder zentral komplexe KI-Aufgaben für die umliegende Wirtschaft lösen.

Das NEUROTEC-Projekt wird durch das Sofortprogramm für den Strukturwandel gefördert. Es soll dazu beitragen, bereits vor dem Ende der Braunkohle im Rheinischen Revier neue Jobs zu schaffen. Was genau schwebt Ihnen da vor?

Prof. Rainer Waser: Wir planen eine Unterstützung der ansässigen Industrie insbesondere im Bereich der Basistechnologien. Die beruflichen Branchen, die wir dabei adressieren, reichen weit über die eigentliche Chipfertigung hinaus. Das beinhaltet etwa auch den Anlagenbau, Messtechnik sowie die Elektronikentwicklung. Die Projektphase NEUROTEC II ist seit November 2021 sehr gut angelaufen und nahezu alle Arbeitspakete sind im Zeitplan. Einige Arbeitspakete sind ihrer Zeit sogar etwas voraus.

Die Technologie befindet sich derzeit noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase. Trotzdem gibt es bereits erste konkrete Erfolge zu verzeichnen. Dabei handelt es sich naturgemäß zunächst vorrangig um Arbeitsplätze für spezialisierte Fachkräfte, bevor es mit fortgeschrittener Technologiereife dann später auch verstärkt in Richtung industrielle Fertigung gehen wird, wenn die Technologie in der Breite in die Anwendung kommt. Ein aktuelles Beispiel: Prof. Heuken von der AIXTRON SE hat auf dem Jülich-Aachen Neuromorphic Computing Day gezeigt, welche Perspektiven sich in den nächsten Jahren hinsichtlich neuer Arbeitsplätze bei AIXTRON im Zusammenhang mit den neuen 2D-Materialien eröffnen werden. Diese Materialien werden im NEUROTEC-Projekt auf ihre Eignung für neuromorphes Computing untersucht.

Welche Vorteile bietet diese neuromorphe Hardware, die Sie entwickeln?

Prof. Rainer Waser: Konventionelle Computerchips basieren auf Transistoren. Diese Transistoren möchten wir gerne um ein neuartiges memristives Bauelement ergänzen. Ein solcher „Widerstand mit Gedächtnis“ ähnelt den Synapsen in natürlichen Nervenzellen und eignet sich daher ganz besonders für künstliche neuronale Netzwerke, wie sie für Anwendungen der künstlichen Intelligenz verwendet werden.

Ein wichtiges Merkmal neuromorpher Chips besteht darin, dass Rechenprozesse und Informationsspeicher nicht mehr physisch voneinander getrennt sind. Der Datentransfer zwischen Prozessor und Speicher, der auf herkömmlichen Rechnern mit sogenannter Von-Neumann-Computerarchitektur kontinuierlich stattfindet, ist äußerst energieintensiv und bremst die Berechnungen aus. Wir stellen uns dagegen neuromorphe Chips mit künstlichen Synapsen vor, die beides können: Informationen speichern und zugleich verarbeiten. Das Rechnen wird dann direkt im – nichtflüchtigen – Speicher durchgeführt, man bezeichnet das auch als Computing-in-Memory. Und es ermöglicht es, Informationen hochgradig parallel zu verarbeiten.  Vorbild ist hierbei tatsächlich das menschliche Gehirn, das im Schnitt gerade einmal 20 Watt benötigt. Das liegt mehrere Größenordnungen unter dem Energiebedarf eines Superrechners, der mittels KI ähnliche Funktionen erfüllt.

Prof. Max Lemme, im Zukunftscluster NeuroSys treiben Sie komplementär die Entwicklungen auf dem Gebiet der neuromorphen Hardware voran. Das Thema wird auch global intensiv verfolgt. Wo steht die Region im Blick auf die weltweite Konkurrenz?

Prof. Max Lemme: Die Zukunftscluster-Initiative des BMBF hat explizit das Ziel, exzellente Spitzenforschung schnell in Anwendungen zu überführen, und das in regionalen Verbünden. Um das zu erreichen haben wir im Zukunftscluster NeuroSys Forscher:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette vereint, die jeweils in ihrer Disziplin weltweite Sichtbarkeit haben. Dazu kommen regionale Unternehmen und Start-Ups aus der High-Tech Branche. Wir decken nun den gesamten Bereich von neuen Materialien bis zur Bild- und Sprachverarbeitung und Medizintechnik ab, und erweitern das Konzept mit sozio-ökonomischen Fragestellungen – also Forschung zur Ethik von KI, zu Folgen für den Arbeitsmarkt und zu gangbaren Geschäftsmodellen für „KI Hardware Made in Europe“.

Ein Beirat aus Wissenschaftler:innen und internationalen Konzernen runden den Cluster ab. Ich wage also zu sagen, dass wir mit der weltweiten Konkurrenz auf Augenhöhe sind. Was in der Region fehlt ist eine moderne Halbleiterfabrik für KI-Chips, deren Ansiedlung wir in unserer Vision formuliert haben. Mit den exzellent ausgebildeten Ingenieur:innen und Naturwissenschaftler:innnen in der Region inklusive Belgien, Niederlande und Ruhrgebiet, der Nähe zu dem Forschungsinstitut IMEC in Belgien und dem führenden Hersteller für Lithografie-Anlagen ASML in den Niederlanden haben wir hervorragende Argument.

Wie weit ist die Technologie schon?

Prof. Max Lemme: Wie so oft gibt es dazu keine einfache Antwort. Man kann mit herkömmlicher Technologie bereits spezielle neuromorphe Chips herstellen. Diese sind aber noch weit von der Energieeffizienz des Gehirns entfernt. Hier können uns die neuen Technologien aus resistiv schaltenden Oxiden, Phasenwechselmaterialien oder auch 2D-Materialien deutlich weiterbringen. Allerdings ist deren Einsatz immer eine Frage der industriellen Herstellbarkeit. Diese ist von Material zu Material verschieden und es sieht derzeit so aus, als würde jede Generation neuer Materialien auch wieder einen Schub an Effizienz bringen. Es ist daher sehr wichtig, bereits jetzt in den beiden Projekten eng mit Herstellern von Materialabscheideanlagen wie Aixtron aus Herzogenrath oder Deep Tech Start-Ups wie Black Semiconductor oder Aixscale Photonics zusammenzuarbeiten.

Parallel arbeitet der Zukunftscluster aber auch auf den höheren Ebenen der Wertschöpfungskette mit der Industrie zusammen. Hier gibt es einige Start-Ups in der Region wie Clinomic, Gremse-IT oder ein bereits kurz nach dem NeuroSys Start mitgegründetes Unternehmen meines RWTH Aachen Kollegen Prof. Rainer Leupers. Wir arbeiten also auf allen Technologieebenen bereits an der Umsetzung der Ziele und sind nach einem hervorragenden fliegenden Start noch immer in der Beschleunigungsphase!

 

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